FRAGILE
Eine experimentelle Annäherung
an eine Ausstellung

Das große Preisraten

Kunstkritik? Hat sich erledigt, sagt eine Freundin, seit Jahrzehnten leidenschaftliche und engagierte Kunstkritikerin. Gegen den Markt komme man nicht mehr an. Sie hat nicht resigniert, aber sie sieht, wie sich die Verhältnisse zwischen Markt und Kunst in der neuen Weltkunstordnung zwischen Peking, Abu Dhabi, Moskau, Basel, London und New York darstellen. Diese Verhältnisse zeugen von einem Hunger und einem Bedarf nach Kunst als Lifestyle und Celebrity-Faktor, aber nicht nach einer Kunst, die wir als Kinder der westlichen Version der Moderne als kritisch bezeichnen würden. Ein mir bekannter Kunstkritiker versucht aufzuzählen, wie viele wirklich unabhängige Kunstkritiker es im deutschsprachigen Raum eigentlich gibt, die auch von ihrer Arbeit als Kritiker im strengen Sinn leben können und sich nicht zusätzlich als Kurator, Katalogschreiber, Galerietexter, Redenschreiber oder sonst irgendwo im Kultur- und Medienbetrieb tätig verdingen oder geheime Reserven anzapfen müssen. Außer ihm selbst, der eine tatsächlich prekäre Existenz führt, fällt ihm niemand ein. 

Natürlich verbreitet die Kunstkritik noch ihre Duftmarken. Sie markiert und nobilitiert die immer selbstbewusster auftretenden Messen und Biennalen, die mit einem kritischen Text oder einem kritischen Symposium beweisen können, dass sie die antiautoritäre Lehre der Selbstreflexion verstanden haben. Selbstkritik gehört mittlerweile zu jedem Eröffnungsweekend dazu – nur wirklich wehtun oder gar den ganzen Zirkus in Frage stellen soll sie bitte nicht. Die öffentlichen Institutionen wie Museen oder Kunstvereine und Kunsthallen sollten traditionellerweise die Gegenmacht zum Markt bilden. Hier soll das Platz haben, was sich nicht verkaufen können muss. Doch diese Institutionen haben, auch unter dem kulturpolitischen Druck von Eventgeilheit und Quoten bei gleichzeitigen Sonntagsreden über die Wichtigkeit der Kunst als kritisches Korrektiv, mehr und mehr Schwierigkeiten in ihrer „Beziehungsarbeit“1. Zwar ist die Institutionskritik selbst mittlerweile ein zumindest rhetorisch gern in Stellung gebrachter Standard sich kritisch gebender Ausstellungspraxis geworden, die den verschwimmenden Grenzen zwischen politischem Aktivismus, künstlerischer Praxis und sozialem Interventionismus Rechnung trägt – oder sich zumindest den Anschein geben will, dies zu tun. Doch zugleich ist die Freiheit des White Cubes, sich solchen komplexen und oft widersprüchlichen Phänomenen des Nichteinverstandenseins im Prozess der Partizipation zu widmen, mit einer kaum zu durchbrechenden Selbstgenügsamkeit erkauft. Viele Fragen, die im Innenraum des gut geschützten Museums durchaus mit Vehemenz und Konsequenz gestellt werden, werden nur dort gestellt und beantwortet und finden nicht den Weg zu einer heterogenen, größeren Öffentlichkeit; zugleich fungiert das Schielen auf die eigene Criticality auch als Gradmesser der eigenen Fortschrittlichkeit. 
 

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Der Wettbewerb um die Kritikalität schafft nicht nur sinnvolle Unterscheidungen, sondern kreiert auch neue Aus- und Abgrenzungen. Wer kritische Kunst und ihre Diskurse produziert und reproduziert, läuft immer auch Gefahr, damit selbst zur Schablone zu werden, durch deren Nachbildung man die Kritik an einer stumpf werdenden Kritik eher verhindert als fördert. Zwischen dem Standard (Institutions-)Kritik und der Standardfloskel ist es leider manchmal nur ein schmaler Grat. Kaum eine Museumsdirektorin, kaum ein Kunsthallenleiter, die oder der nicht bei Amtsantritt einen kritischen Umgang mit der Sammlung, dem Kanon, der zeitgenössischen Kunst und der Gesellschaft als Ganzes ankündigen würde und sich lautstark gegen die Zudringlichkeit der Marktlogik in Zeiten knapper werdender öffentlicher Gelder verwahren würde. Doch wenn man sich die Ausstellungsprogramme dann im Detail ansieht, merkt man, wie normal es mittlerweile geworden ist, dass Privatsammlungen in öffentlichen Museen gezeigt werden und diese Schauen dann den Marktwert der zu sehenden Werke manipulieren bzw. für den Namen der Sammler werben. Wie normal es ist, dass große Galerien nicht nur Namen und Preise, sondern auch Ausstellungspolitik in öffentlichen Institutionen (mit-)machen. Und wie normal es ist, dass die öffentlichen Institutionen sich einem teilweise selbst auferlegten Quoten- und Erfolgsdruck beugen, der genau solche unsauberen Lösungen als Konsequenz des Kunstmarketings nahelegt. 

Umgekehrt lernen halbkommerzielle Veranstaltungen wie die im City- und Regionenmarketing integrierten, in den letzten Jahren stark expandierenden Biennalen oder rein kommerzielle Unternehmen wie Großgalerien, Messen oder Auktionshäuser von den Kunsthistorikern – und Kritikern. Sie verwissenschaftlichen ihren eigenen Betrieb durch interne Kuratoren und kunsthistorisch versierte, mit dem kritischen Vokabular der Stunde ausgerüstete Spezialisten. Deren Programme machen im Vergleich zu den teilweise kaputtgesparten öffentlichen Institutionen eine immer bessere Figur und tragen so zur symbolischen Aufwertung der vertriebenen Kunstwaren bei, was sich dann positiv auf den Preis auswirken kann und so die Kosten für das diskursive Beiwerk wieder hereinspielt.

Andererseits muss man sich hüten, einer Romantisierung von wahrer Kunst als das Andere des bösen Marktes auf den Leim zu gehen. Die Trennung von Kunst und Markt ist eine Reinheitsfiktion, die auf einer Idealisierung der Kunst und ihrer absoluten Autonomie basiert. Die Kunst ist aber nur relativ autonom. Sie agiert nicht jenseits des Marktes, genauso wenig wie sie jenseits der Welt ist. Die Verstricktheit in ein Marktverhältnis ist vielmehr der Preis, den ihre Entlassung aus der Abhängigkeit von höfischen oder kirchlichen Auftraggebern (die übrigens auch schon gern mit Geld bezahlt hatten) kostet. Aber sie hat zum Markt ein besonderes Verhältnis, zu dessen Singularität letztlich alle relevanten Kunstmarktakteure2 beitragen. Dieses Verhältnis kann nur als paradox beschrieben werden. Die Weigerung der Kunst, eine Ware wie jede andere zu sein, macht sie erst zu einer ganz besonderen, die inhärente und diskursiv unterstützte Kritik an der Trivialität der Tauschverhältnisse ist ein wesentlicher Teil des suggerierten Wertes, der wiederum zur Preisbildung auf dem Markt beiträgt. „Marktphobie ist gut fürs Geschäft“, schreibt die Kunstkritikerin Isabelle Graw und schlägt vor, den die Kunst im Unterschied zu anderen Waren auszeichnenden Symbolwert als den Preis des Preislosen zu bezeichnen. 

Die komplexe Verzahnung von Kunst, Markt und Kritik führt auch dazu, dass versucht wird, die oft als mirakulös und mit einer gewissen Faszination betrachtete Preisbildung im High-End-Bereich durch Hinweise auf Produktionsaufwand, Meisterschaft und Einzigartigkeit wie etwa in der Spitzengastronomie oder der Mode zu plausibilisieren. Zudem erscheint die Kunstwelt heute, nachdem die Künstlerkritik an der zweckrationalen Gesellschaft so erfolgreich war, dass heute alle irgendwie kreativ sein wollen bzw. sein müssen, für immer mehr Menschen mit Geld und/oder zusätzlichem sozialem Kapital als attraktive Bühne. In Analogie zur Fetischisierung der Brands, Logos und Celebrities wird so das Spiel mit Namen und den Verkürzungen dessen, wofür diese stehen sollen, zur Geschäftsgrundlage. Wer heute zur Art Basel oder zu Frieze nach London fährt, kann nicht nur als exquisit angepriesene Kunst oder auch ganz schnöde Kapitalanlagen in Objektform kaufen, sondern auch an einem Lebensstil inklusive der richtigen Partys und Bekanntschaften partizipieren, der als sexy und glamourös gilt. 

Auf solchen Großmessen kann man mittlerweile nicht nur flammende Bilder gegen den Kapitalismus und seine rassistischen, sexistischen, ökonomischen und ökologischen Verwerfungen erwerben. Es stehen sogar Werke zur Disposition, die im herkömmlichen Sinn gar keine sind und damit die aktuelle Entwicklungsstufe der Waren- und Objektsubversion darstellen3. Heute gibt es sogar einen Markt für Handlungsanleitungen für die von Tino Sehgal konstruierten, vergänglichen Situationen, die nichts hinterlassen außer einer Erinnerung. Die Erlaubnis zur Aufführung unter genau geregelten Bedingungen kostet angeblich bis zu 100.000 Euro. Die Kunst von Sehgal ist flüchtig, sie verspricht keine ewigen Werte und also keine gute Wertanlage. Sie ist fragil.

„FRAGILE“ ist auch der Titel eines ungewöhnlichen Ausstellungsprojekts. Es zeigt, angepasst an die unterschiedlichen Formate der Werke, einheitlich gestaltete, handelsübliche Kunsttransportkisten, gestapelt zu einer an eine Skyline erinnernde Installation im Raum. Auf den Kisten stehen nur Nummern, die auf keine Namen oder Werke verweisen. Nur eine Tafel mit der KünstlerInnenliste zählt die Namen der Teilnehmenden auf, Werkliste gibt es keine dazu. 

Trotzdem kann man die in den Kisten wie auf ihren nächsten Bestimmungsort wartenden Werke kaufen. So findet der Markt kurzfristig, ausgerechnet im Zuge der Wirtschaftskrise, zu der dem Kunstmarkt immer schon gern unterstellten Preiswillkür zurück. Denn tatsächlich weiß man auf dem Kunstmarkt ja nie genau, warum und wann welcher Preis genau zustande kommt – das ist der Reiz der Spekulation und der abenteuerlichen Gerüchte über aberwitzig teure Bilder, deren Thrill gerade in der Unbestätigbarkeit der Summen besteht. 

Die uneinsehbaren Werke bei „FRAGILE“ können also mitsamt ihrer Verpackung gekauft werden; daneben diskutiert man fast zwangsläufig über das Verhältnis von hehrem Wert und buchstäblichem Preis der Kunst. Beide Begriffe entstehen durch individuelle Einschätzungen, die aber sozial geprüft und bestätigt werden müssen. Um den über den bloß privaten Kultwert hinausgehenden Symbolwert eines Kunstwerks zu bemessen, bedarf es der Anerkennung anderer. Um den oft so arbiträr erscheinenden Preis eines Kunstwerks zu bestimmen, müssen Marktbedingungen und damit eine soziale Situation zwischen Anbietern und Interessenten herrschen.

„FRAGILE“ ist eine minimalistische Installation mit seriellen Elementen, die mit Gegensatzpaaren spielt. Die Ausstellung verweist zugleich auf das Depot und den Transit, auf den Produktionsort und den Ort der Präsentation, auf das Gleiche der Kunst in ihrer Substanzzuschreibung als ästhetisches Objekt und ihre in den Kisten verborgene, unendliche Differenz der Form. So stellt sich „FRAGILE“ letztlich als ein Akt des Nachdenkens über die Brüchigkeit der in Geld und Wertvorstellungen gebündelten Vertrauensverhältnisse dar. Denn letztlich könnte man diese marktsubversive Geste auch als eine hinterlistige Rehabilitierung eines Vertrauensverhältnisses verstehen. Schließlich ist der Preis schon zuvor festgelegt und durch das Prestige der Kunstexpertise der Beteiligten bekräftigt worden. Man kauft also zwar buchstäblich eine Katze im Sack. Aber eben eine, von der man im Vorfeld weiß, dass sie gesund und munter ist. (Thomas Edlinger)

1  Wie der hintersinnige Ausstellungstitel über das Verhältnis von Kunst und Institution im Wiener Künstlerhaus 2011 hieß.

2  Wie z.B. Künstler, Sammler, Galerien, Museen, Konservateure, Restauratoren, Gutachter, wertsteigernde Ausstellungen, der Secondary Market der Auktionen, aber auch der begleitende Diskurs von durchaus auch marktallergischen Kritikern.

3 Diese hat ja seit dem Paukenschlag durch Marcel Duchamps Urinal eine verzweigte Geschichte, die vom folgenden avantgardistischen, mit Manifesten unterfütterten Furor bis zu der Groteske der Komplettverweigerung durch den postsituationistischen Neoismus reicht, der sich selbst als „Präfix und ein Suffix mit nichts dazwischen“ beschreibt.

 

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FRAGILE
Eine experimentelle Annäherung an eine Ausstellung

Idee, Konzept: Gregor Eggenberger & Nela Eggenberger

BAWAG P.S.K. Contemporary, Franz Josefs Kai 3, 1010 Wien
28. November – 15. Dezember 2013

Mit Werken von:

Georg Aerni, Irene Andessner, Jordi Bernadó, Stéphane Couturier, Christoph Dahlhausen, Jan De Cock, Peter Dressler, Lorenz Estermann, Thomas Florschuetz, Thomas Freiler, G.R.A.M., Manfred Grübl, Markus Guschelbauer, Nan Hoover, Hermann Huber, Judith Huemer, Lukas M. Hüller, Helmut & Johanna Kandl, Herwig Kempinger, Anastasia Khoroshilova, Jürgen Klauke, Sigrid Kurz, Marie-Jo Lafontaine, Tatiana Lecomte, Paul Albert Leitner, Marko Lipuš, Edgar Lissel, Ernst Logar, Anja Manfredi, Ángel Marcos, Brian McKee, Sissa Micheli, Mihael Milunović, Julie Monaco, Gerhardt Moswitzer, Walter Niedermayr, Markus Oberndorfer, Ona B., Roman Pfeffer, Klaus Pichler, Wolfgang Raffesberg, Arnulf Rainer, Aura Rosenberg, Simona Rota, Gregor Sailer, Eva Schlegel, Werner Schrödl, Elfie Semotan, Paul M. Smith, Kamen Stoyanov, Michael Strasser, Jeanne Szilit, Borjana Ventzislavova, Massimo Vitali, Anita Witek, Andrea Witzmann, Erwin Wurm, Robert Zahornicky, Gregor Zivic, Leo Zogmayer